Hintergrund

Das Problem Verfassungsschutz
Bei seiner Gründung im Jahr 1950 wurden im Verfassungsschutz (VS) vor allem Verbrecher*innen aus der SS, dem Sicherheitsdienst SD und der Ge­stapo versammelt, die überwiegend schon in Nazi-­Deutschland ähnliche Positionen besetzt hatten. Mit der (alten) Aufgabe, gegen Kommunist*innen und andere Linke vorzugehen, prägten sie den VS von Anfang an als antikommunistisches und antiemanzipatorisches Netzwerk. Eine Ausrichtung, an der sich bis heute nichts geändert hat: Der VS ist eine Vereinigung, die durch den Einsatz von V-Leuten und Spitzeln neonazistische Gruppen und Strukturen stärkt und gleichzeitig antifaschistische Aktivitäten angreift und kriminalisiert.

Der VS als Unterstützer rechter Strukturen
Besonders deutlich wurde diese Verbindung zu rechten Strukturen nach der Selbstenttarnung des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU), einer rechten Terrorgruppe, die mindestens zehn Menschen ermordet sowie dutzende verletzt und traumatisiert hat. Darüber hinaus wurden die Opfer und deren Angehörige über Jahre verdächtigt, bespitzelt und in der Gesellschaft als vermeintliche Täter*innen stigmatisiert.

Alles was bisher herausgefunden wurde, spricht dafür, dass die staatlichen Behörden über Jahre den NSU gedeckt, aufgebaut oder ihm freie Hand bei seiner rassistischen Anschlags- und Mordserie gelassen haben. Ganz vorne mit dabei der VS, der über etliche V-Leute Geld in die rechten Strukturen gepumpt hat. Leider ist dies kein Einzelfall – ähnliche Verstrickungen wurden u.a. auch beim Scheitern des NPD-Verbotsverfahrens deutlich.
Nach Auffliegen der Verbindungen des VS zum NSU versuchen Regierungsvertreter*innen die Legitimationsgrundlage für den VS unter dem Deckmantel angeblicher Reformen auszubauen (Verfassungsschutzreform 2015 (1); Koalitionsvereinbarung GroKo 2018 (2)). Dabei ist es purer Zynismus, dass nun ausgerechnet die Verwicklung des VS in den NSU-Skandal dazu herhalten soll, den Geheimdienst mit mehr Personal, besserer Technik und mit pseudowissenschaftlich gewon­nenen Informationen auszustatten, statt diesen endlich abzuschaffen. Wir wollen keinen besser kontrollierten oder reformierten Verfassungsschutz, wir wollen überhaupt keinen! (3)

Das Problem IfD
Ausgerechnet den VS hat sich das IfD nun für sein aktuell größtes Projekt herausgesucht. Dass es dabei nicht nur um eine wissenschaftliche Aus­wertung des Geheimdienstes geht, sondern ein direkter Austausch stattfindet, macht das Vorhaben noch schlimmer.
Der Niedersächsische Minister für Inneres und Sport, Boris Pistorius, umschrieb dies zur Eröffnung von FoDEx so: „Der niedersächsische Verfassungsschutz steht in der Mitte der Gesellschaft und strahlt Vertrauen in den demokratischen Rechtsstaat aus. Mit dieser Forschungsstelle sorgen wir neben der tagtäglichen Arbeit des Verfassungsschutzes für die wissenschaftliche Aufarbeitung dieses wichtigen Bereichs, indem wir Wissen teilen und zugänglich machen.“ (4)

Kritische Auseinandersetzung mit dem VS?
In den eigenen Verlautbarungen kündigt FoDEx an, Veröffentlichungen des Verfassungsschutzes auswerten zu wollen. Als Geheimdienst wird der VS aber wohl kaum seine Quellen und Daten zugänglich machen, die aber für eine wissenschaftliche Bewertung der Analysen zwingend notwendig wären. FoDEx kann also, beschränkt auf die als Propaganda veröffentlichten Berichte, allenfalls auf besonders dümmliche oder ungeschickte Thesen des VS hinweisen. Die Hoheit, was der VS mit diesen Hinweisen dann macht, liegt weiterhin bei ihm selbst – eine demokratische oder wissenschaftliche Kontrolle darüber gibt es nicht. Vielmehr bekommt der VS frei Haus geliefert, was anderen besonders angreifbar erscheint und erhält so Hilfe, sein schmutziges Handwerk geschickter auszuüben.
Die bisherigen Äußerungen von FoDEx, in denen sie ihre Zusammenarbeit mit dem VS als „neutral“ oder gar „kritisch“ einschätzen (Matthias Micus im NDR Interview 30.11.2017), sind vor diesem Hintergrund bestenfalls als naiv zu bezeichnen. In jedem Fall aber sind sie ein Grund mehr, diese Tür so geschlossen wie möglich zu halten. Zumal FoDEx ignoriert, dass dem VS jede Zusammenarbeit mit einer Forschungseinrichtung zusätzliche Legitimation verschafft, da deren Propaganda einen wissenschaftlichen Anstrich erhält.

Datenweitergabe an den VS
Noch problematischer ist, dass FoDEx nicht nur den VS auswertet, sondern auch Informationen an diesen liefert. Ein solcher Vorgang ist niemals harmlos, selbst wenn nur weitergegeben wird, was der VS schon hat oder haben könnte. FoDEx kann nicht wissen, was dem VS vorliegt – es besteht also immer die Gefahr, dass neue oder zumindest besser ausgewertete Informationen geliefert und vom VS benutzt werden könnten. Wie sich Niedersachsens Verfassungsschutzpräsidentin Maren Brandenburger das vorstellt, hat sie 2015 in einem Interview mit NDR Info klargestellt:
„Es würde die Arbeit der Verfassungsschutzbehörden effizienter machen, weil wir verlässliche Daten hätten, weil wir Dinge erführen, die wir als Verfassungsschutz nicht erfragen könnten, nämlich sozialstrukturelle Daten, biografische Daten. Alles Dinge, die wir natürlich nicht erfragen, die für uns aber wichtig sind. Die Analyse und Interpretation des gewaltbereiten Linksextremismus wäre für uns auf ein gutes Fundament gestellt.“ (5)

Massive Proteste gegen die Volkszählung haben dazu geführt, dass seit 1987 ein Recht auf „informationelle Selbstbestimmung“ festgeschrieben wurde, damit jede*r über die Verwertung von Informationen über sich selbst entscheiden kann. (6) Der unaufgeforderte und unerwünschte Einblick in politisches Engagement unterläuft dieses Recht. Dies wiegt umso schwerer als die meisten Menschen weniger misstrauisch und vorsichtig sind, wenn Wissenschaftler*innen an Stelle von Strafverfolgungsbehörden im Spiel sind. FoDEx versucht, sich im Schafspelz der Wissenschaft Informationen zu beschaffen, an die der VS selbst nur sehr viel schwieriger bis gar nicht herankommen würde.

Verdeckte Informationsbeschaffung
Und als ob das nicht schon alles schlimm genug wäre, gehen die „Forscher*innen“ noch einen Schritt weiter und arbeiten zumindest teilweise verdeckt. Die Ethik verantwortungsvoller Forschung setzt voraus, Menschen nicht zu instrumentalisieren. Qualitative Forschung, insbesondere teilnehmende Beobachtung, verlangt, die eigenen Motive zu reflektieren und Menschen nicht zu Versuchs­objekten zu machen. Dies verbietet u.a. verdeckte Forschung über Individuen, bei der die Beforschten nicht in Kenntnis gesetzt werden, dass sie gerade beforscht werden.
Julian Schenke im NDR-Interview:
„Dann kann man einfach vor Ort dort hingehen, sich auch als Forscher präsentieren und zunächst einmal fragen, wer da Lust hat über den eigenen Eindruck der Szene zu berichten und über die eigene biografische Entwicklung, also: Wie ist man denn da reingekommen? Hat man irgendwie Verständnis für Gewalt, politische eingesetzte Gewalt?“ (7)

Auch wenn Mitarbeiter*innen hier anderes behaupten, sind bereits Fälle bekannt, wo Mitglieder des Instituts sich nicht als Forschende vorgestellt haben, sondern die Daten und Einschätzungen ohne Zustimmung der Akteur*innen verwendet haben (z.B. beim Kongress „Selber machen – Internationale Konferenz zu Basisorganisierung, Gegenmacht und Autonomie“ im April 2017 in Berlin, über den Robert Mueller-Stahl Einschätzungen und Zitate in der Demokratie-Dialog 1-2017, S. 23-26, zusammengestellt hat).

Das Problem Extremismus-Ideologie
Und nicht zuletzt liegt insbesondere dem Selbstverständnis des VS, aber auch den Theorien des IfD die Extremismus-Ideologie zugrunde. Dabei sind der sogenannte „Extremismus“ und „Totalitarismus“ ideologische Konstrukte, die eigens dafür geschaffen wurden, eine irgendwie positive, bürgerliche „Mitte“ zu behaupten: Wer schön in dieser „Mitte“ bleibe, gehöre dazu, stabilisiere das System und sei damit demokratisch, gewaltfrei und akzeptiert. Wer davon abweicht, wird unabhängig von Zielen und Mitteln mit Demokratiefeindlichkeit, Extremismus und Gewalt in Verbindung gebracht.
Die permanente staatliche Gewalt (zum Beispiel weltweite wirtschaftliche Ausbeutung, Krieg, Rüstungsexporte, rassistische Gesetzgebung, Abschiebungen, …) existiert in dieser Ideologie nicht. Diese Form von Gewalt wird nicht mal als solche anerkannt und damit legitimiert und normalisiert. Darüber hinaus bleibt die Offenheit der sog. „Mitte“ für rassistische, antisemitische und geschichtsrevisionistische Denk- und Handlungsmuster unbeachtet. (8)
Die letztendlich eben doch erfolgende Gleichsetzung von „Rechts-„ und „Linksextremismus“ in der Extremismusideologie verharmlost neofaschistische Ideologien und rechte Gewalt – was historisch in Anbetracht der Shoa, aber auch im Hinblick auf heutige neofaschistische Terrorgruppen wie dem „NSU“ und tätlicher Angriffe unerträglich ist.
Außerdem wird mit der Gleichsetzung versucht, linke Gesellschaftskritik zu entwerten, was nicht nur für die Linke untragbar ist, sondern auch der Gesellschaft als ganzer schadet. Geht ihr doch mit dieser Entwertung ein kritisches und emanzipa­torisches Korrektiv verloren. Zum Beispiel sind selbstorganisierte, antifaschistische Initiativen nicht irgendwie auch extremistisch, sondern extrem wichtig. Solchen Initiativen, die mit Hilfe der Arbeit des IfD effektiver bekämpft werden sollen, ist es zu verdanken, dass unter anderem in Göttingen Neonazis ihr menschenverachtendes Weltbild nicht so leicht verbreiten können und Übergriffe zumindest selten sind.
Obwohl das Institut für Demokratieforschung behauptet, eine Modernisierung oder gar Überwindung des Extremismusbegriffs liefern zu wollen und eine differenziertere Betrachtung skizziert (9), bleibt die Blickrichtung auf Demokratiefeindlichkeit und Extremismus erhalten. Denn auch eine Neuetiketierung mit Terminologien wie „soziale Demokratie“ und „linke Radikalität“ löst sich nicht von dem Konstrukt der guten, demokratischen „Mitte“ und der zu analysierenden „Gefährdungen“(10) durch die Extreme. So verharrt FoDEx also im Ideologischen, was sich auch darin zeigt, dass rechter und islamistischer Mord und Terror in einem gemeinsamen Projekt mit linker Systemablehnung und Militanz beforscht und bewertet werden sollen.

Unser Fazit: Kein Kontakt mit dem IfD!
Gewollt oder nicht ist das Institut Teil der Produktion von bürgerlich-autoritärem Herrschaftswissen, denn Wissen ist niemals neutral, sondern hat immer Kontexte und stellt Sinnbezüge her, über die das Innenministerium als Auftraggeber keine Zweifel lässt (siehe oben). Somit ist das Institut für Demokratieforschung dafür verantwortlich, ideologische Konstrukte als herrschende Meinung zu reproduzieren und trotz gewisser Reflexionen letztlich zu legitimieren, was weit von einer kritisch arbeitenden Wissenschaft entfernt ist.
Indirekt oder sogar direkt können die Informationen und Einschätzungen von FoDEx dazu beitragen, linke Aktivitäten noch intensiver zu kriminalisieren. Unzensierte Debatten, freier Austausch, Gesellschaftskritik und autonome Organisierung werden gefährdet, wenn neben den Spitzeln des VS auch noch die Anwesenheit von Mitgliedern oder Hilfskräften der Dokumentationsstelle angenommen werden müssen.

Individuell und kollektiv ist dies ein Angriff auf Selbstbestimmung, freie Diskussion und Organisierung. Dies betrifft die gesamte Gesellschaft, für die die kritischen Entwürfe progressiver linker Bewegungen ebenso notwendig sind wie antifaschistische Gegenwehr.
Wir haben uns deswegen entschlossen, alle Mit­arbeiter*innen, die direkt beim Institut für Demokratieforschung angestellt sind, sowie die für FoDEx/„Linke Millitanz“ Forschenden aus unseren Räumen und von unseren Veranstaltungen auszuschließen. Wir differenzieren dabei bewusst nicht zwischen Mitarbeiter*innen in den beiden „Extremismus“-Projekten und denen in anderen Projekten. Zum einen arbeitet die Mehrheit der derzeitigen Mitarbeiter*innen am Institut für diese beiden Projekte und zum anderen kann ein informeller Austausch, bei dem unwillkürlich Einschätzungen geteilt werden, nicht ausgeschlossen werden.
Jede*r muss sich also entscheiden, ob sie*er am Institut arbeitet oder sich im Kontext der linken und emanzipatorischen Szene bewegen möchte. Beides gleichzeitig ist nicht möglich.

Spitzelei einstellen!
Verfassungsschutz auflösen!

 

1) https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2015/kw27_de_verfassungsschutzreform/379776 (15.7.2018)
2) Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD, 19. Legislaturperiode, Seite 127, https://www.bundesregierung.de/Content/DE/_Anlagen/2018/03/2018-03-14-koalitionsvertrag.pdf (15.7.2018)
3) vgl. z.B. Rolf Gössner, Johann-Albrecht Haupt u.a. 2013: Brauchen wir den Verfassungsschutz! Nein!. Herausgeber*in: Humanistische Union, Internationale Liga für Menschenrechte, Bundesarbeitskreis kritischer Juragruppen.
4) http://www.mi.niedersachsen.de/aktuelles/presse_informationen/dokumentations–und-forschungsstelle-begleitet-arbeit-des-niedersaechsischen-verfassungsschutzes–pistorius-weiterer-wichtiger-schritt-beim-kampf-gegen-extremismus-in-unserem-land–148456.html (15.07.2018)
5) Zitat nach NDR Nachrichten vom 30.11.2017 https://www.ndr.de/nachrichten/niedersachsen/braunschweig_harz_goettingen/Linksextremismus-Studie-schliesst-Forschungsluecke,linksextremismus116.html (15.07.2018)
6) Vgl. z.B. Spiros Simitis 1984: Die informationelle Selbstbestimmung – Grundbedingung einer verfassungskonformen Informationsordnung. In: Neue Juristische Wochenschrift, S. 398-405.
7) NDR Nachrichten vom 30.11.2017 https://www.ndr.de/nachrichten/niedersachsen/braunschweig_harz_goettingen/Linksextremismus-Studie-schliesst-Forschungsluecke,linksextremismus116.html (15.07.2018)
8) vgl. z.B. Richard Stöss 2015: Kritische Anmerkungen zur Verwendung des Extremismuskonzepts in den Sozialwissenschaften http://www.bpb.de/politik/extremismus/rechtsextremismus/200099/kritische-anmerkungen-zur-verwendung-des-extremismuskonzepts-in-den-sozialwissenschaften (15.07.2018) sowie Karl Heinz Roth 1999: Geschichtsrevisionismus. Die Wiedergeburt der Totalitarismustheorie.
9) z.B. Jonathan Riedl und Matthias Micus in der Demokratie-Dialog 1-2017, Seite 16-22
10) ebenda Seite 3